Organisationen als Kraftfelder
Aus Perspektive einer (soziologischen) Feldtheorie können Organisationen als Kraft-, Spiel- und je nach Situation als Kampffelder betrachtet werden. In diesem Beitrag wollen wir uns der Kraftfeldmetapher widmen.
DL
6/26/20244 min read
Diese hier eingenommene Perspektive, die unter anderem auf den Arbeiten von Pierre Bourdieu basiert, bietet eine dynamische Sichtweise auf die inneren Strukturen, Prozesse und Kultur von Organisationen und wie diese nach außen wirken. Einen Überblick über eine allgemeine feldtheoretische Sichtweise bietet André Armbruster (2023), eine sehr umfangreiche Ausarbeitung mit Blick auf Organisationen aus feldtheoretischer Sicht liefert Daniel Houben (2022).
Verschiedene Kräfte wirken in diesen Kraftfeldern, die das Verhalten und die Interaktionen der Mitglieder und auch externer Akteure (potenzielle Mitarbeitende, Kunden, Kommunen, Behörden o. Ä.) beeinflussen. „Es kann sich dabei um Regeln oder soziale Normen handeln, ebenso sind aber auch symbolische, jeweils feldspezifische Formen in Betracht zu ziehen, wie zum Beispiel organisationale Entscheidungsabläufe, Theorien und Methoden des wissenschaftlichen Feldes, religiöse Dogmen oder künstlerische Stile" (Armbruster 2023, S. 8).
Im Folgenden werden die wesentlichen Kräfte – Anziehungskraft, Abstoßungskraft, Synergie- und Verbindungskräfte, Motivations- oder Aktivierungskräfte, Konfliktkräfte sowie Hemm- oder Lähmungskräfte – näher beschrieben.
Anziehungskräfte sind diejenigen Einflüsse, die die Organisation für Individuen oder Gruppen attraktiv machen. Der (Wirtschafts-)Sektor, die Branche, bestimmte Produkte oder Dienstleistungen, Kundenzielgruppen, bis hin zu speziellen Tätigkeiten oder notwendigen Qualifizierungen machen eine Organisation für manche attraktiv, auf andere wirken sie neutral und wieder andere werden geradezu abgestoßen.
Weitere Anziehungskräfte sind der Ruf der Organisation, gesetzliche Regelungen, die Außendarstellung, Standort(e), eine (empfundene) Notwendigkeit, mit der Organisation in Kontakt zu kommen oder natürlich auch in Kontakt (Kunde, Mitarbeitender etc.) zu bleiben.
Abstoßungskräfte sind diejenigen Einflüsse, die Individuen oder Gruppen davon abhalten, auf dem Feld mitzuspielen, ob als Mitarbeitender, Kunde oder Behörde. Im Prinzip sind es die gleichen Aspekte, die Anziehungskraft erzeugen können, die auch Abstoßung erzeugen – nur eben bei anderen Akteuren, abhängig von ihren Wahrnehmungs-, Denk-, Bewertungs- und Handlungsschemata sowie der dazugehörigen Identität, ihrem Habitus (Bourdieu und Wacquant 1996).
Anziehungskräfte und Abstoßungskräfte
Synergie- und Verbindungskräfte
Synergie- und Verbindungskräfte fördern die Zusammenarbeit und das kollektive Handeln innerhalb einer Organisation, sie führen „Dinge“ sich ergänzend zusammen. Zwar können sie durch Reputation oder Außendarstellung auch als Anziehungs- oder Abstoßungskraft wirken, doch hier geht es um interne Synergien.
Hier finden wir oft die gleichen oder ähnliche Faktoren wie bei den Anzieh-/Abstoßungskräften. Bestimmte Tätigkeiten, die auf manche Akteure anziehend wirken, beispielsweise Fußballspielen, erzeugen gleichzeitig auch Synergieeffekte. Eine Mannschaft kann nur gemeinsam erfolgreich sein. Doch auch zahlreiche andere Phänomene erzeugen oder blockieren Verbindung. Folgende Fragen können beispielsweise gestellt werden: Gibt es (kodifizierte) Anreizsysteme, die Kooperation fördern? Haben sich Kommunikations-, Austausch- und Feedbackroutinen entwickelt, die Zusammenarbeit, Wissensteilung und Unterstützung „selbstverständlich“ machen? Gibt es ein gemeinsames Verständnis von Sinn und Zweck der Organisation? Welche (informellen) Netzwerke konnten sich ausbilden? Inwieweit sind diese integrativ oder ausgrenzend?
Konfliktkräfte
Dort, wo Menschen regelmäßig zusammenkommen, können auch Konflikte entstehen. Diese sind unabdingbar und können produktiv genutzt werden. Doch welche Kräfte fördern eigentlich Konflikte und welche Kräfte sorgen dafür, dass sie eskalieren und somit schaden? Wie kompetitiv sehen die Anreizsysteme aus? Gibt es zu wenig „produktive“ Kommunikation zwischen verschiedenen Abteilungen oder Bereichen, sodass die Denk- und Handlungslogiken dieser nicht verstanden werden können? Fehlt ein geteiltes Verständnis für den Beitrag, den jeder zur Organisation leistet? Sind Aufgaben, Zuständigkeiten, Ziele etc. unklar oder widersprüchlich, sodass dies Konflikte erzeugt? Wie sieht die Ressourcen-/Kapitalverteilung in der Organisation aus? Wie sieht die Machtverteilung aus?
Motivations- und Aktivierungskräfte
Motivations- oder Aktivierungskräfte sind die Kräfte, die das Verhalten und die Leistung der Mitarbeitenden direkt beeinflussen. Hier gibt es Überschneidungen mit den Synergiekräften. Zudem können entstehende Synergien auch individuelle Motivation freisetzen.
Menschen kommen mit einer Vorstellung von Sinnhaftigkeit in eine Organisation, die sie motiviert, sich dort zu engagieren, die illusio nach Bourdieu (z.B. 1998, S. 142). Je besser diese bedient wird, umso aktivierter und motivierter sind die Mitarbeitenden. Wie sieht die Vergütung aus? Welche Formen von Anerkennung und Wertschätzung haben sich etabliert? Wie klar sind Ziele gesteckt und kommuniziert? Ist es für Mitarbeitende möglich, die Arbeit als verstehbar, sinnhaft und handhabbar zu sehen (Stichwort Salutogenese (Antonovsky 1987), dazu mehr hier)? Sind die Mitarbeitenden mit hinreichend Autonomie und Verantwortung ausgestattet und gleichzeitig nicht mit mehr belastet, als sie handhaben können? Worüber sollte oder muss regelmäßig gesprochen werden? Was wird ausgeschlossen oder welche Tabuthemen gibt es? Oder wirken Kräfte wie Angst vor Jobverlust motivierend?
Hemm- und Lähmungskräfte
Hemm- oder Lähmungskräfte sind Kräfte, die das Vorankommen und die Effektivität von Individuen oder Teams behindern, also die „Gegenspieler“ der Motivierungskräfte.
Übermäßige Bürokratie und starre Strukturen können die Flexibilität und Reaktionsfähigkeit einer Organisation einschränken. Mitarbeitende fühlen sich durch unnötige Regeln und Vorschriften eingeengt und demotiviert. Fehlende Rahmenbedingungen können allerdings zu Orientierungslosigkeit führen und die Mitarbeitenden genauso lähmen.
Ebenso können mangelnde Ressourcen einen hemmenden Effekt haben. Seien es ökonomisches Kapital, „kulturelles Kapital“, technische Unterstützung oder personelle Kapazitäten – all das kann bei Mangel Frust erzeugen und das Gefühl der Handhabbarkeit deutlich reduzieren.
Doch auch eine ungünstige Machtverteilung, seien es zu steile Hierarchien oder informelle Machtpositionen, ebenso wie ein hoher Konformitätsdruck, zahlreiche ungeschriebene Regeln und Gesetze, sehr festgefahrene Team- oder Organisationsroutinen genauso wie fehlende oder mangelhafte Routinen sind weitere Beispiele für Hemmkräfte.
Fazit
Die Betrachtung von Organisationen als Kraftfelder aus feldtheoretischer Perspektive bietet vielseitige Einblicke in die dynamischen Interaktionen und Einflüsse, die das Verhalten von Individuen und Gruppen innerhalb einer Organisation prägen – und wie dieses Verhalten die Organisation prägen kann. Anziehungs- und Abstoßungskräfte, Synergie- und Verbindungskräfte, Motivations- oder Aktivierungskräfte, Konfliktkräfte sowie Hemm- oder Lähmungskräfte und die verschiedenen „Kraftlinien“, die sie zusammen bilden, spielen eine wichtige Rolle dabei, wie Organisationen funktionieren und sich entwickeln.
Durch das Verständnis dieser Kräfte (und wie diese Kräfte in Wechselwirkung stehen) können Führungskräfte und Mitarbeitende besser auf die Herausforderungen und Chancen innerhalb ihrer Organisation reagieren.
Literatur
Antonovsky, Aaron. 1987. Unraveling the mystery of health. How people manage stress and stay well. San Francisco: Jossey-Bass.
Armbruster, André. 2023. Gesellschaft als Kraft, Spiel und Kampf. In Handbuch Theorien der Soziologie, Hrsg. Heike Delitz, Julian Müller und Robert Seyfert, 1–23. Wiesbaden: Springer Fachmedien.
Bourdieu, Pierre. 1998. Praktische Vernunft. Zur Theorie des Handelns. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Bourdieu, Pierre, und Loïc Wacquant. 1996. Reflexive Anthropologie. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Houben, Daniel. 2022. Die verborgenen Mechanismen der Governance. Zur kulturellen und praktischen Bedingtheit organisationaler (Re-)Produktion. Wiesbaden: Springer VS.
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