Leistung und Erfolg – eine organisationssoziologische Perspektive

Leistung ist weit mehr als nur individuelles Engagement und Erfolg nicht automatisch das Ergebnis von Leistung. Die Problematik des Mantras "Leistung muss sich wieder lohnen" wird in diesem Beitrag beäugt.

ORGANISATIONSENTWICKLUNGSALUTOGENESEFELDTHEORIE

DL

9/27/20245 min read

Leistung und Erfolg
Leistung und Erfolg

„Leistung muss sich wieder lohnen“ lautet meiner Wahrnehmung nach seit Jahrzehnten ein wiederholtes Mantra. Ob Leistung jemals das war, was sich in Unternehmen und anderen Organisationen gelohnt hat, oder ob am Ende des Tages der (kurzfristige) Erfolg zählt, ist meines Erachtens eine zentrale Frage. Eine andere ist, was eigentlich alles dazugehört, um Leistung zu erbringen. Dieser Beitrag beleuchtet diese Problematik in einer kurzen Übersicht.

Leistung und Erfolg – eine organisationssoziologische Perspektive

Leistung beschreibt in diesem Zusammenhang das individuelle und kollektive Handeln von Akteuren innerhalb einer Organisation, das sich durch die Nutzung spezifischer Fähigkeiten, Ressourcen und Kenntnisse auszeichnet und an in der Organisation anfallende Aufgaben und zu erreichende Ziele ausgerichtet ist. In dieser Betrachtungsweise sind es die speziellen Kapitalien (z. B. kulturelles oder soziales Kapital), die in einem spezifischen Feld (z. B. einem Unternehmen) eingesetzt werden, um handlungsfähig zu sein.
Erfolg hingegen wird in aller Regel an externen oder institutionellen Maßstäben gemessen (wenn diese überhaupt gut messbar sind) und drückt das Erreichen von Zielen oder das Erzielen bestimmter Ergebnisse aus. Dies können Umsatzsteigerungen, Marktanteilsgewinne, erreichte Produktionsziele, das Abarbeiten einer bestimmten Anzahl von Akten und Ähnliches sein. Diese Erfolgsparameter sind üblicherweise durch institutionelle Strukturen und als Resultat von Machtverhältnissen vorgegeben und spiegeln somit weniger die tatsächliche Leistung wider, sondern eher die Erfüllung spezifischer, häufig ökonomisch bestimmter Kriterien. Ein Beispiel dafür ist die Art und Weise, wie in vielen Organisationen Bonuszahlungen oder Beförderungen oft an den Erfolg, also an erreichte Ziele oder Verkaufszahlen, geknüpft sind, unabhängig davon, wie diese Ergebnisse zustande gekommen sind. Wer bekommt wohl die Bonuszahlung? Der oder diejenige, die fleißig einen Cold-Call nach dem anderen absolviert und ein paar kleine Kunden an einem Tag akquiriert, oder derjenige, der das „Glück“ hat, gleich im dritten Call den großen Deal an Land zu ziehen und sich den Rest des Tages zurücklehnen kann – weil eben dieser große Fisch auf seiner/ihrer Telefonliste stand und nicht auf der, der anderen.

Leistung als Praxis innerhalb eines organisationalen Feldes

In der hier betrachteten Sichtweise ist Leistung das Ergebnis von Handlungen, die in einem relationalen und historischen Kontext vollzogen werden. Diese Handlungen werden durch das Kapital (ökonomisch, kulturell, sozial und symbolisch) und den Habitus (ein Dispositionssystem von Wahrnehmungs-, Denk-, Bewertungs- und Handlungsschemata) der Akteure geleitet, die ihre Position im organisationalen Feld einnehmen. Die Beschaffenheit des Feldes (Hierarchien, Arbeitsbedingungen etc.) beeinflusst ebenfalls das Agieren der Akteure. Die Leistung ist somit nicht nur eine individuelle Anstrengung, sondern das Resultat eines komplexen Geflechts von individuellen Merkmalen, sozialen Beziehungen, verfügbaren Ressourcen sowie den spezifischen Möglichkeiten und Einschränkungen des Feldes, in dem die Aktivitäten stattfinden.
Erfolg ist dagegen weniger an die performativen Handlungen gebunden, sondern an die Positionierung innerhalb eines Machtgefüges und die Anerkennung des Erbrachten durch andere Akteure. Dies kann als Teil des „symbolischen Kapitals“, das durch soziale Anerkennung und Legitimation entsteht, betrachtet werden. Man denke daran, dass der gleiche Aufwand (Leistung) und/oder das gleiche Ergebnis (Erfolg) bei unterschiedlichen Personen unterschiedlich bewertet werden. Das bedeutet, dass eine Leistung erst dann als hoch und ein Erfolg als „echt“ gilt, wenn sie durch die dominierenden/legitimierten Akteure oder Institutionen als solche anerkannt werden. Dies kann oft zu einer Diskrepanz führen, da tatsächliche Leistung nicht immer unmittelbar in Erfolg umgewandelt wird, insbesondere wenn sie nicht im Einklang mit den vorherrschenden Gegebenheiten oder Erwartungen steht. Da allerdings in vielen Bereichen der Erfolg besser zu beziffern ist als Leistung oder der Erfolg einer Leistung erst nach einer gewissen Zeit auftritt, führt dies schnell zu einem Überfokus auf kurzfristige Erfolge/Ergebnisse.

Praktische Bedeutung der Fokussierung auf Leistung anstatt auf Erfolg

Wenn Manager und Führungskräfte mehr auf die Leistung ihrer Mitarbeitenden achten – also den Vollzug konkreter Handlungen bzw. die aktive Teilnahme an den organisationalen Praktiken – anstatt nur auf den Erfolg, verschiebt sich der Fokus von kurzfristigen Ergebnissen hin zu langfristigen Prozessen. Dies hat substanzielle Auswirkungen darauf, wie in der Organisation (zusammen)gearbeitet und kommuniziert wird.
Ein auf Leistung basierter Ansatz fördert eine Arbeitskultur, in der der Prozess der Aufgabenerfüllung (und Zielerreichung), die Weiterentwicklung von Fähigkeiten, Kooperation und kontinuierliches Lernen im Vordergrund stehen. Dies steht im Gegensatz zu einer reinen Ergebnisorientierung, die sich häufig nur auf den kurzfristigen Erfolg konzentriert, ohne die Mittel zu berücksichtigen, durch die dieser erreicht wurde. Es gibt zahlreiche Beispiele, wo ein Erfolgsfokus zu einer „Hyper-Competition“ geführt hat, wo Mitglieder eines Teams nicht in erster Linie kooperieren, sondern im übertriebenen Wettstreit zueinander stehen. In Forschungsteams habe ich das öfter beobachtet und berichtet bekommen. Der hohe Druck auf das Individuum, möglichst viele Artikel in Peer-Review-Zeitschriften zu veröffentlichen (um die eigene Position im Feld zu verbessern), führt dazu, dass sich gegenseitig Informationen vorenthalten werden, der fachliche Austausch gering ist, Ideen anderer „geklaut“ werden und in gemeinsamen Arbeiten darum gestritten wird, wer als Erst-Autor genannt wird.
Ein weiterer praktischer Vorteil der Fokussierung auf das, was die Mitarbeitenden unter welchen Bedingungen tun, ist die Förderung von Innovation und Kreativität. Wenn Mitarbeitende nicht nur daran gemessen werden, ob sie kurzfristige Ziele erreichen, sondern auch, wie sie langfristig zum Aufbau von (individuellen und organisationalen) Fähigkeiten und Wissen beitragen, werden sie ermutigt, neue Wege zu gehen und auch mal ein Risiko einzugehen, ohne die unmittelbare Angst vor Misserfolg. Dies schafft Raum für experimentelles Lernen und erhöht den Beitrag der Akteure zur Organisation und ihren Zielen. Zudem trägt eine solche Kultur zu einer stärkeren Mitarbeiterbindung und höheren Arbeitszufriedenheit bei, da sich Mitarbeitende weniger durch äußeren Erfolgsdruck belastet fühlen und mehr Freiraum für die Entfaltung ihrer Fähigkeiten haben. Auch eröffnet dies mehr Raum für interkollegiale Wertschätzung.

Salutogenese und die Auswirkungen auf die Organisationskultur

Ergänzend lohnt sich zudem ein Blick durch die Brille des Salutogenese-Modells nach Aaron Antonovsky. Die Salutogenese beschäftigt sich damit, wie Gesundheit und Wohlbefinden in einem gegebenen Umfeld entstehen, aufrechterhalten und gefördert werden können, anstatt nur das Auftreten von Krankheit zu verhindern. In einem organisationalen Kontext bedeutet dies, dass eine Arbeitsumgebung geschaffen wird, in der die Mitarbeitenden neben einem sachlich-logischen Verständnis ihrer Tätigkeiten auch die Kontrolle über ihre Arbeit haben und die Sinnhaftigkeit (z.B. Beitrag zum Unternehmenserfolg) ihrer Handlungen erkennen können. Dies fördert den Kohärenzsinn (Sinnhaftigkeit, Verstehbarkeit und Handhabbarkeit), einen zentralen Aspekt der Salutogenese, der das Wohlbefinden und die Gesundheit (und damit auch Motivation und Leistungsfähigkeit) der Mitarbeitenden nachhaltig unterstützt und wiederum ein Teil des Habitus ist (einen interessanten Beitrag dazu gibt es hier).
Wenn Führungskräfte mehr Wert auf die Leistung und die dahinterstehenden Dynamiken legen, anstatt nur auf das Erreichen kurzfristiger Erfolge, wird eine „Feldstruktur“ geschaffen, die das Wohlbefinden und die mentale Gesundheit der Mitarbeitenden fördert. Dies führt zu einem produktivitätsförderndem Arbeitsumfeld, in dem Mitarbeitende das Gefühl haben, ihre Arbeit aktiv gestalten zu können, was wiederum ihre psychische Widerstandskraft und die Freude an der Arbeit stärkt. Solch eine salutogene Organisationskultur trägt nicht nur zu einem besseren Arbeitsklima bei, sondern fördert langfristig auch die Leistungsfähigkeit und den Erfolg der gesamten Organisation.

Zusammengefasst zeigt diese organisationssoziologische Analyse, dass eine Fokussierung auf Leistung nicht nur zu besseren Ergebnissen, sondern auch zu einer gesünderen, innovativeren und produktiveren Arbeitskultur führen kann. Weiterhin unterstreicht der Beitrag, dass Leistung ein komplexes Phänomen ist, das sich aus der strukturellen Beschaffenheit der Organisation, den dort üblichen Praktiken und Routinen, dem konkreten Handeln der Individuen, den verborgenen Macht- und Entscheidungsverhältnissen sowie dem Feld, in dem die Organisation operiert, ergibt und nicht so einfach auf einzelne (un)motivierte Individuen heruntergebrochen werden kann.

Zum Schluss noch eine Übersicht über weiterführende Literatur, an der sich dieser Beitrag orientiert.

Antonovsky, Aaron. 1987. Unraveling the mystery of health. How people manage stress and stay well. San Francisco: Jossey-Bass.

Bourdieu, Pierre. 1990. The Logic of Practice. Stanford: Stanford University Press.

Bourdieu, Pierre. 2015. Die verborgenen Mechanismen der Macht. Hamburg: VSA: Verlag.

Emirbayer, Mustafa, und Victoria Johnson. 2008. Bourdieu and organizational analysis. Theory and Society 37: 1–44.

Houben, Daniel. 2022. Die verborgenen Mechanismen der Governance. Zur kulturellen und praktischen Bedingtheit organisationaler (Re-)Produktion. Wiesbaden: Springer VS.

Mittelmark, Maurice et al., Hrsg. 2022. The Handbook of Salutogenesis. Wiesbaden: Springer.

Robinson, Sarah, Jette Ernst, Ole Jacob Thomassen, und Kristian Larsen. 2022. Introduction: Taking Bourdieu further into studies of Organizations and Management. In Pierre Bourdieu in Studies of Organization and Management. Societal Change and Transforming Fields, Hrsg. Sarah Robinson, Jette Ernst, Kristian Larsen und Ole Jacob Thomassen, 1–19. Routledge.