Organisationen als soziale Felder – ein erster Überblick
Organisationen sind soziale Felder, in denen Akteure mit unterschiedlichen Formen von Kapital (z.B. ökonomisches, soziales, symbolisches Kapital) interagieren und konkurrieren. Diese Felder sind durch spezifische Regeln und Machtstrukturen geprägt, die die Positionierung und das Verhalten der Akteure beeinflussen. Sowohl Stabilität als auch Veränderungen in einem Feld entstehen durch Aushandlungsprozesse, in denen zentrale Akteure oft eine dominante Rolle spielen.
ORGANISATIONSENTWICKLUNGKRAFTFELDFELDTHEORIE
DL
6/3/20245 min read
Eine Organisation kann sowohl als soziales Feld beschrieben werden als auch als Akteur in sozialen Feldern, z. B. der Branche, die wiederum im marktwirtschaftlichen (Meta-)Feld operiert (Houben 2022, S. 169).
Doch was ist eigentlich ein soziales Feld?
Ein soziales Feld ist ein strukturiertes System von sozialen Positionen, in dem Akteure (Individuen, Teams, Abteilungen oder Organisationen) mit unterschiedlichen Kapitalkombinationen (siehe unten) interagieren und konkurrieren – mit Bezug auf verschiedene (Macht-)Positionen und Ressourcen (Kluttz und Fligstein 2016). Ein Feld hat eigene Regeln, Normen und andere Kräfte, die auf das Verhalten der Akteure einwirken (Emirbayer und Johnson 2008; Armbruster 2023). Pierre Bourdieu (1991, S. 215) beschreibt soziale Felder als Arenen, in denen Menschen ein Spiel nach bestimmten (expliziten wie impliziten) Regeln spielen, die sich von denen angrenzender Bereiche unterscheiden. Ein Feld ist also ein Raum „objektiver“, historisch entstandener Beziehungen zwischen Positionen (die Akteure einnehmen), die in verschiedenen Machtformen und Kapital verankert sind (Bourdieu und Wacquant 1996, S. 16). „Wie auch beim Spiel gibt es für die Akteure klare Regeln, Einsätze, Befähigungen, Aufgaben und Interessen" (Houben 2022, S. 230).
„Das soziale Feld beschreibt die Position eines Akteurs in der Gesellschaft und seine Verflechtung mit anderen Akteuren. Die Verflechtungen sind Austauschprozesse im sozialen Handeln, die durch unterschiedliche Kräfteverhältnisse geprägt sind. Es gibt Akteure mit starken Positionen, die die Austauschprozesse aktiv lenken können, und schwache Akteure, die durch andere gelenkt werden“ (Rommerskirchen 2017, S. 230).
Organisationen sind ebenfalls derartige Felder, in denen die Mitarbeitenden, Führungskräfte, aber auch ganze Abteilungen ebenso wie „externe“ Stakeholder agieren und sich behaupten (Tredinnick-Rowe 2023). Das jeweilige organisationale Feld zeigt sich als die „Summe aller Macht- bzw. Unterscheidungsbeziehungen“ (Matys 2023, S. 54).
Felder enden, wo man sich nicht mehr auf sie bezieht, wo sie keine Wirkung mehr entfalten (Armbruster 2023, S. 8). Es ist also keine a-priori Grenzziehung möglich, diese erfolgt erst im Laufe der Untersuchung (Houben 2022, S. 230). Dies gilt auch für Organisationen, die zwar im engeren Sinne aus systemtheoretischer Perspektive als soziale Systeme beschrieben werden können, die sich von der Umwelt abgrenzen (um einen Einblick zu bekommen, siehe Kühl 2020). Doch ihre Wirkung entfalten sie auch außerhalb dieser formal festgelegten Grenzen. Eine Organisation, als Feld betrachtet, wirkt eben auch auf Kunden, Anwohner, Kommunen, Behörden, Fans einer Marke, Gegner einer Branche etc.
Autonomie sozialer Felder
Ein zentrales Merkmal sozialer Felder sind verschiedene Grade an Autonomie. Autonome Felder – wozu auch Organisationen zählen – haben starke Zugangsregelungen/-beschränkungen und oft sehr klare Regeln. Etablierte Formen von Kapital sind in autonomen Feldern nötig – z. B. Programmierkenntnisse in einem Unternehmen für Softwareentwicklung. In heteronomen Feldern sind die Zugangsbeschränkungen und Regeln weniger klar und lassen mehr Raum für Interpretation. Auch die Kapitalbedeutung ist heterogener und weniger eindeutig (vgl. dazu Robinson et al. 2022, S. 9). Je autonomer ein Feld, umso stärker müssen externe Einflüsse in die Logik des Feldes übersetzt werden (Armbruster 2023, S. 9): Allgemeine Umweltschutzbestimmungen müssen beispielsweise erst in die Logik und Praxis eines Unternehmens überführt werden.
Kapital und seine Bedeutung
Für die Entwicklung eines Feldes, die Positionierung der Akteure und deren Einsätze sind verschiedene Kapitalien von Bedeutung, die „soziale Energie“ zur Verfügung stellen (Kremser und Sydow 2022, S. 7). Pierre Bourdieu unterscheidet zwischen vier grundlegenden Arten von Kapital, die für den Erfolg und die Positionierung innerhalb eines sozialen Feldes von Bedeutung sind (Bourdieu 2012) :
Ökonomisches Kapital: Materieller Besitz und finanzielle Ressourcen, die es einem Akteur in vielerlei Hinsicht handlungsfähiger machen und auch bei der Ausübung von Macht helfen. Ein Unternehmen, das Geld für Investitionen hat, hat einen deutlichen Vorteil gegenüber Konkurrenten, die weniger oder gar nichts investieren können.
Kulturelles Kapital: Bildung, kulturelle Kompetenzen und Kenntnisse, wie z. B. Fachkenntnisse, die für eine Position qualifizieren, oder ein Verhandlungsgeschick, das im „Spiel“ um eine Beförderung einen (informellen) Vorteil bringt.
Soziales Kapital: Netzwerke und Beziehungen, die einem Akteur Zugang zu Ressourcen und Unterstützung verschaffen. Gute Beziehungen zu einem Akteur in einer für die Organisation relevanten Behörde können für die Positionierung in der Organisation von großem Wert sein.
Symbolisches Kapital: Anerkennung und Prestige, die oft in Verbindung mit anderen Kapitalarten stehen und den Status eines Akteurs innerhalb eines Feldes verstärken. Einige Unternehmen stellen gerne Mitarbeitende mit Doktorgrad ein, da sie sich davon eine symbolische Wirkung nach außen versprechen. Dies wiederum wirkt sich positiv auf die Position und das Ansehen (ggf. auch das Gehalt) der Träger des Doktorgrades aus.
Fazit
Die Konkurrenz um Ressourcen und Anerkennung sowie die Verteilung verschiedener Kapitalarten sind zentrale Mechanismen, die die Dynamik der Felder formen – auch in Organisationen, wo in erster Linie gemeinsam an den Zielen gearbeitet wird (oder werden sollte). Die Abgrenzung von anderen Feldern sowie die ständige Aushandlung von Positionen, Macht und Spielregeln führen aufgrund der häufigen Dominanz bestimmter Akteure (z. B. der Geschäftsführung, den „alten Hasen“ etc.) zu einer gewissen Stabilität des Feldes. Doch sie ermöglichen genauso Veränderungen, die eben nur durch diese Aushandlungsprozesse angestoßen werden können.
Wie weitere Aspekte wie der Habitus der Akteure wirken oder vor welchen Herausforderungen Führungskräfte stehen, schneiden wir in folgenden Beiträgen an.
Literatur
Armbruster, André. 2023. Gesellschaft als Kraft, Spiel und Kampf. In Handbuch Theorien der Soziologie, Hrsg. Heike Delitz, Julian Müller und Robert Seyfert, 1–23. Wiesbaden: Springer Fachmedien.
Bourdieu, Pierre. 2012. Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital. In Handbuch Bildungs- und Erziehungssoziologie, Hrsg. Ullrich Bauer, Uwe Bittlingmayer und Albert Scherr, 229–242. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Bourdieu, Pierre. 1991. The craft of sociology: epistemological preliminaries. New York: De Gruyter.
Bourdieu, Pierre, und Loïc Wacquant. 1996. Reflexive Anthropologie. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Emirbayer, Mustafa, und Victoria Johnson. 2008. Bourdieu and organizational analysis. Theory and Society 37: 1–44.
Houben, Daniel. 2022. Die verborgenen Mechanismen der Governance. Zur kulturellen und praktischen Bedingtheit organisationaler (Re-)Produktion. Wiesbaden: Springer VS.
Kluttz, Daniel N., und Neil Fligstein. 2016. Varieties of Sociological Field Theory. In Handbook of Contemporary Sociological Theory, Hrsg. Seth Abrutyn, 185–204. Cham: Springer International Publishing.
Kremser, Waldemar, und Jörg Sydow. 2022. When Practices Control Practitioners: Integrating self-reinforcing dynamics into practice-based accounts of managing and organizing. Organization Theory 3: 26317877221109275.
Kühl, Stefan. 2020. Organisationen. Eine sehr kurze Einführung. Wiesbaden: Springer VS.
Matys, Thomas. 2023. Organisation und Macht. Soziologische Perspektiven. In Organisationale Machtbeziehungen im Wandel. Führung zwischen Zustimmung und Zwang, Hrsg. Olaf Germanis, Stefan Hutmacher und Lukas Walser, 47–63. Wiesbaden: Springer Gabler.
Robinson, Sarah, Jette Ernst, Ole Jacob Thomassen, und Kristian Larsen. 2022. Introduction: Taking Bourdieu further into studies of Organizations and Management. In Pierre Bourdieu in Studies of Organization and Management. Societal Change and Transforming Fields, Hrsg. Sarah Robinson, Jette Ernst, Kristian Larsen und Ole Jacob Thomassen, 1–19. Routledge.
Rommerskirchen, Jan. 2017. Soziologie & Kommunikation : Theorien und Paradigmen von der Antike bis zur Gegenwart. Wiesbaden: Springer.
Tredinnick-Rowe, John. 2023. Bourdieu’s Theory of Economic Practice and Organisational Modelling. Cambridge: Cambridge Scholars Publishing.
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