Organisationen als Spielfelder
Organisationen können als Kraft-, Spiel- und Kampffelder konzipiert werden. Diese Metapher erlaubt uns, das dynamische Zusammenspiel von Regeln, Akteuren und deren Interaktionen in sozialen Systemen zu analysieren und zu verstehen. Diese Regeln sind wichtige Kräfte, die nach innen und außen wirken.
DL
7/19/20244 min read
Soziale Felder als Spielfelder
Soziale Felder können in vielerlei Hinsicht mit Gesellschafts- oder Sportspielen verglichen werden (Armbruster 2023, S. 9). Wie bei Spielen gibt es in sozialen Feldern Regeln und Akteure, die Einsätze platzieren und versuchen, das Spiel zu antizipieren und meist auch zu gewinnen – es sind also auch kompetitive Räume (Robinson et al. 2022, S. 8). Die Spieler:innen (Akteure) interagieren innerhalb des Feldes gemäß spezifischer Regeln, die das Spiel strukturieren und dessen Ausgang beeinflussen.
Ein wesentlicher Unterschied zwischen einem sozialen Feld und einem Spiel besteht jedoch darin, dass die Spielregeln in einem Feld selbst zum Spielinhalt werden. Während in einem echten Spiel die Regeln feststehen und kodifiziert sind, entwickeln sich die Regeln in sozialen Feldern durch gelebte Praxis und können während des Spiels geändert werden. Diese dynamische Natur der Regeln erfordert von den Akteuren eine kontinuierliche Anpassung und Neuausrichtung ihrer Strategien.
Praktiken und Interaktionen innerhalb von Organisationen (als ein spezieller Typ von Feld) laufen nach Regeln ab, die sowohl formal (kodifiziert) als auch informell sein können. Diese Regeln bestimmen, wer als Gewinner oder Verlierer gilt, was als legitimes Handeln anerkannt wird, welche Sanktionen verhängt werden können oder wer überhaupt am Spiel teilhaben darf. In einem echten Spiel sind die (meisten) Regeln festgelegt und kodifiziert. In sozialen Feldern, wie etwa Organisationen, ist ein großer Teil der Regeln nicht kodifiziert, sondern das Ergebnis gelebter Praxis und können während des Spiels selbst modifiziert werden.
Das Feld wird durch die Praxis und Aktivitäten der Akteure erst konstruiert und reproduziert, Kodifizierung gewisser Regeln stärkt diese Reproduktion (Houben 2022, S. 206). Diese soziale Konstruktion bedeutet, dass die Akteure ständig darum spielen, die Regeln neu zu interpretieren und zu ändern – zu ihren Vorteilen. Diese Regeln existieren also immer nur vorläufig. Dies macht das soziale Feld dynamisch und flexibel, wobei die Akteure ständig in einen Prozess der Aushandlung und Umgestaltung involviert sind.
Die Rolle der Akteure
Damit ein Spiel überhaupt stattfinden kann, muss es Spieler:innen geben. Diese Akteure müssen zum Spielen geeignet sein und empfänglich für die Feldkräfte sein. Das Interessensobjekt des Feldes muss für die Akteure von Bedeutung sein, was oft sehr subtil und unterbewusst vor sich geht. Zusätzlich müssen die Akteure bereit sein, sich ins Spiel einzubringen. Sie brauchen die Überzeugung, dass der Einsatz im Feld sich lohnt, damit sie aktiv mitspielen.
Bourdieu spricht hier von „Illusio“ – dem Glauben, dass das Spiel den Einsatz wert ist. Illusio bedeutet, dass die Akteure vom Spiel erfasst und davon überzeugt sind, dass es sich lohnt, mitzuspielen (Miebach 2022, S. 558). Diese Überzeugung ist entscheidend, damit die Akteure aktiv und kompetent am Spiel teilnehmen und somit das soziale Feld lebendig halten.
Akteure bringen ihren Habitus (Bourdieu 1998) – ein Dispositionssystem aus Denk-, Wahrnehmungs- Bewertungs- und Handlungsmustern – mit und wirken so auf das Feld ein. Sie setzen dabei bewusste, aber vor allem unbewusste „Strategien“ ein. Die Kräfte des Feldes wiederum wirken auf den Akteur und über die Zeit auch auf deren Habitus ein. Folglich ändern sich entweder – je nach Macht der Akteure – die Kräfte des Feldes, es passt sich der Habitus an die Feldkräfte an oder Akteure verlassen das Feld.
Anwendung auf Organisationen
Organisationen können als soziale Felder betrachtet werden, in denen verschiedene Akteure interagieren, um spezifische Ziele zu erreichen, wie den Verkauf von Produkten, das Heilen von Kranken oder die Verhaftung von Kriminellen (angelehnt an Houben 2022, S. 127–128). Die Regeln, nach denen diese Interaktionen ablaufen, sind sowohl formell-kodifiziert (z.B. Unternehmensrichtlinien, Arbeitsverträge, Dienstanweisungen) als auch informell (also die Unternehmenskultur). Neben dem Wettstreit um Kapital, Ressourcen, Positionen etc. zeichnen sich Organisationen zudem als ein Feld aus, in dem kooperiert wird, um gemeinsame Ziele zu erreichen.
Dynamik der Regeländerung
Spiele können ihre Regeln ändern. Unter anderem wird in sozialen Feldern um eine Regeländerung gespielt. Diese Regeländerungen sind mitunter sehr dynamisch. In Organisationen finden kontinuierlich „Verhandlungen“ darüber statt, welche Regeln gelten und wie sie angewendet werden. Diese Aushandlungsprozesse sind oft subtil und finden im täglichen Umgang der Mitarbeiter statt. In diesem Spiel nutzen die Akteure ihr Kapital (ökonomisch, kulturell, sozial und symbolisch), beispielsweise um ihre Position (z.B. mehr Macht haben) zu verbessern, diese zu halten, die Regeln zu ihren Gunsten zu beeinflussen, mehr Kapital anzusammeln etc. In Organisationen sind es oft einzelne Akteure – beispielsweise Geschäftsführer:innen – mit sehr viel Macht, die die kodifizierten und nicht-kodifizierten Regeln bestimmen bzw. maßgeblich beeinflussen können.
Fazit
Die Spielfeldmetapher einer soziologisch-feldtheoretischen Perspektive bietet ein wertvolles Werkzeug, um die Komplexität und Dynamik von Organisationen zu verstehen. Indem wir Organisationen als soziale Felder betrachten, in denen Machverhältnisse, Regeln, Akteure und deren Interaktionen ständig neu verhandelt werden, können wir ein besseres Verständnis für ihre Funktionsweise gewinnen.
Die Betrachtung von Organisationen oder Organisationseinheiten mittels dieser Metapher, hilft nicht nur dabei, das bestehende Kraftfeld – z.B. Strukturen und Prozesse – zu analysieren, sondern auch, neue Wege für die Zusammenarbeit und das gemeinsame Erreichen von Zielen zu entdecken. Führungskräfte und Berater, die diese Perspektive in ihre Arbeit integrieren, sind besser in der Lage, die Herausforderungen der heutigen dynamischen und komplexen Organisationswelten zu meistern und beispielsweise auch die „verborgenen Mechanismen der Macht“ (Bourdieu 2015) oder die „modernen Mechanismen der Governance“ (Houben 2022) aufzudecken.
Literatur
Armbruster, André. 2023. Gesellschaft als Kraft, Spiel und Kampf. In Handbuch Theorien der Soziologie, Hrsg. Heike Delitz, Julian Müller und Robert Seyfert, 1–23. Wiesbaden: Springer Fachmedien.
Bourdieu, Pierre. 2015. Die verborgenen Mechanismen der Macht. Hamburg: VSA: Verlag.
Bourdieu, Pierre. 1998. Praktische Vernunft. Zur Theorie des Handelns. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Houben, Daniel. 2022. Die verborgenen Mechanismen der Governance. Zur kulturellen und praktischen Bedingtheit organisationaler (Re-)Produktion. Wiesbaden: Springer VS.
Miebach, Bernhard. 2022. Soziologische Handlungstheorie. Eine Einführung. 5. Aufl. Wiesbaden: Springer VS.
Robinson, Sarah, Jette Ernst, Ole Jacob Thomassen, und Kristian Larsen. 2022. Introduction: Taking Bourdieu further into studies of Organizations and Management. In Pierre Bourdieu in Studies of Organization and Management. Societal Change and Transforming Fields, Hrsg. Sarah Robinson, Jette Ernst, Kristian Larsen und Ole Jacob Thomassen, 1–19. Routledge.
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