Organisationen als Kampf- und Schlachtfelder

Organisationen müssen ein Mindestmaß an Adaptionsfähigkeit besitzen, um wettbewerbsfähig zu bleiben analysierte schon der Soziologe Talcott Parsons (Parsons 1951). In seinem AGIL Schema steht das A für „Adaption“. Um dies zu tun, müssen die sozialen Kräfte genutzt und gut gebündelt werden, die Mitglieder der Organisation müssen das Spiel mitspielen und auch „Regeländerungen“ mittragen, idealerweise mitgestalten.

KRAFTFELDSPIELFELDFELDTHEORIEKAMPFFELDORGANISATIONSENTWICKLUNG

DL

8/12/20245 min read

Doch so rund läuft es nicht immer. Zwar gehören hier auch „Kämpfe“ z.B. um Budgets oder Deutungshoheit mit dazu, doch sie sollten nicht Überhand nehmen. Die Metapher der Organisation als Kampffeld, inspiriert durch die Idee der sozialen Felder auch als Kampffelder zu sehen (Armbruster 2023), bietet eine wichtige Perspektive auf Herausforderungen, denen Organisationen in ihrem Alltag und noch mehr im Rahmen von Veränderungs- und Entwicklungsprozessen begegnen können. Hier präsentiere ich ein paar grundlegende Einblick und Gedankenanstöße in diese Perspektive.

Das Konzept der sozialen Felder als Kampffelder

Soziale Felder sind nicht nur Räume der Kooperation und des Spiels nach akzeptierten Regeln, sondern auch Arenen, in denen Akteure um Ressourcen, Macht und Einfluss kämpfen. Diese Sicht hebt die konfliktbeladenen Aspekte sozialer Interaktionen hervor. Diese Perspektive beschreibt soziale Felder als Schauplätze, an denen verschiedene Kräfte und Akteure aufeinandertreffen, konkurrieren und sich durchsetzen wollen, um die bestehenden Regeln zu ändern oder sie aufrechtzuerhalten. Diese Metapher hilft uns, die oft unsichtbaren Machtstrukturen und Konflikte aufzudecken, die soziale Dynamiken prägen und mit Blick auf Organisationen – in denen in ein überwiegend kooperatives Spiel notwendig ist – diese davor zu bewahren, dass aus dem Spielfeld in erster Linie ein Kampffeld – oder eher ein Schlachtfeld – wird.

Soziale Felder sind immer auch Kampffelder (Krämer 2019): Die Interaktionen sind oft von Machtkämpfen, Wettbewerb um Ressourcen/Kapital und dem Streben nach Einfluss geprägt. Die individuellen, habitus-basierten, Strategien der Akteure haben einen Einfluss auf die Machtdynamiken genauso wie die bestehen Strukturen.

Organisationen als soziale Felder

Organisationen können als spezifische Arten sozialer Felder betrachtet werden, in denen unterschiedliche Akteure - Mitarbeiteende, Führungskräfte, Abteilungen und externe Stakeholder - unterschiedliche Positionen einnehmen, über unterschiedliche Mengen an Kapital verfügen und miteinander interagieren. Sie spielen mit, kommen mit spezifischen Interessen und Befähigungen, platzieren Einsätze und antizipieren bestimmte Ergebnisse (Ansehen, Gewinne, Gehalt, Wertschätzung etc.).

Während die Kampffeldmetapher Organisationen als Arenen des Konfliktes und der Machtkämpfe beschreibt, betont die Spielfeldmetapher (in dieser hier präsentierten Lesart) eher die kooperativen und regelgebundenen Aspekte von Interaktionen. Auf einem organisationalen Spielfeld agieren Akteure nach gemeinsam akzeptierten Regeln und streben nach einem gemeinsamen Ziel, wobei der Fokus auf Zusammenarbeit, aber auch auf dem „spielerischen“ Aushandeln und Auslegen der Spielregeln liegt. Im Gegensatz dazu liegt bei der Kampffeldmetapher der Schwerpunkt auf Konflikt, Machtverhältnissen und dem Streben nach individueller Dominanz. Beide Blickwinkel bieten sich ergänzende Einsichten, doch die Kampffeldmetapher hebt die oft unterschätzten Aspekte von Macht und Konkurrenz in Organisationen hervor. Ein zentraler Aspekt, der viele Organisationen im Alltag und Veränderungsprozessen stark blockiert.

Macht und Einfluss in Organisationen

In Organisationen spielen Macht und Einfluss eine zentrale Rolle, manche Positionen sind Dominanter, andere weniger (Houben 2022, S. 120). Führungskräfte und Manager nutzen ihre Positionen, um Entscheidungen zu treffen und die Richtung der Organisation zu bestimmen. Doch auch andere Akteure, wie erfahrene Mitarbeiter, Akteure mit exklusivem Zugang zu bestimmten Kapitalien/Ressourcen oder informelle Netzwerke, haben Einfluss auf die Organisation und Entscheidungsprozesse. Diese Machtstrukturen sind oft verborgen (Bourdieu 2015), und müssen erst ans Licht befördert werden.

Kapital, Ressourcen und Konkurrenz

Ressourcen/Kapital wie Budget, Zeit, Personal, Kompetenzen, Kontakte, Anerkennung etc. sind in Organisationen begrenzt und werden häufig zum Gegenstand von Spielen oder Kämpfen. Abteilungen spielen um Budgets, Projektteams um Aufmerksamkeit und Mitarbeiter um Beförderungen; oder sie kämpfen drum. Diese übermäßigen Konkurrenzsituationen sind typisch für Kampffelder und prägen die Dynamiken innerhalb der Organisation. Zentral ist es zu unterscheiden, ob es noch Teil des „legitimen“ Spiels ist mit einem „gesunden“ Maß an Kämpfen oder ob es schon in einen richtigen, ggf. destruktiven, Kampf ausartet.

Wie kommt es dazu?

In Organisationen abreiten oft Menschen unterschiedlicher (beruflicher) Hintergründe – sie haben einen beruflichen Habitus. Ein Psychologe in der Personalabteilung, eine Juristin in der Compliance-Abteilung, Betriebswirte im Verkauf, Techniker:innen in der Fertigung und Staplerfahrer:innen im Lager. Diese positionieren sich aufgrund ihres Habitus, des Kapitals und der Struktur der Organisation. Unterschiedliche Akteure haben unterschiedliche strukturelle Interesse und beurteilen ihre Arbeit nach unterschiedlichen Zielen, Inhalten, Umständen und Kriterien, jeweils mit unterschiedlichen Graden an Autonomie, gegenseitigem Vertrauen und Kontrolle. Es entwickeln sich also spezifische Logiken (Houben 2022, S. 125). Das führt leicht zu spielen und kämpfen um Deutungshoheit, Einfluss in der Umwelt der Organisation, Ressourcen und den verschiedenen Kapitalsorten (ökonomisch, kulturell, sozial und symbolisch) (ebd. S. 126).

Werden die verschiedenen Dynamiken der Subfelder (Abteilungen, Teams) und individuelle Akteure nicht hinreichend synchronisiert und auf das gemeinsame Ziel ausgerichtet, können die Kämpfe Überhand nehmen und ein wahrlich destruktives Schlachtfeld entsteht.

Implikationen für Führung und Organisationsentwicklung

Zunächst gilt es stets, die Organisation als solches zu verstehen. Wie sieht das Kraftfeld aus? Wie kann ich das dort gespielte Spiel analysieren und verstehen? Welche Aufgabe habe ich überhaupt als Führungskraft aus dieser Perspektive?

Dazu einige Anregungen hier:
Organisationen als Kraftfelder

Feldtheorie und Führung

Organisationen als Spielfelder

Und hier ein paar weitere:

Stakeholder-Analyse und -management

Ein zentraler Aspekt ist die Analyse und das Management von Stakeholdern. In einem organisationalen Feld haben verschiedene Akteure unterschiedliche Interessen, Logiken und Machtpositionen. Eine gründliche Stakeholder-Analyse hilft, diese Interessen/Logiken und Machtverhältnisse zu identifizieren und Herangehensweisen zu entwickeln, um die Unterstützung der wichtigsten Akteure zu gewinnen. Dies kann beispielsweise durch gezielte Kommunikation und Austausch, Interviews und Befragungen sowie Einbindung in Verstehens- und Entscheidungsprozesse.

Widerstände verstehen

Bei Veränderungen spielt oft „Widerstand“ eine Rolle. Durch die Linse der Kampffeld-Metapher betrachtet, können Widerstände als Ausdruck bestehender Machtverhältnisse, Ressourcenkämpfe und verschiedener Logiken gesehen werden. Mitarbeitende und Abteilungen, die sich durch Veränderungen bedroht fühlen, werden Widerstand leisten. Individuen, deren Habitus in zu starkem Kontrast zu den Veränderungen steht, werden Widerstand leisten. Verstehen wir diese Mechanismen, können wir a) aufhören Widerstand als solchen zu bezeichnen und b) die verschiedenen Logiken und Positionen leichter an einen Tisch bringen und synchronisieren.

Veränderung als Prozess des Machtwandels und der Kapitalverteilung

Veränderungen in Organisationen sind oft mit Verschiebungen der Machtverhältnisse sowie Umverteilung von Kapital verbunden. Neue Strukturen und Prozesse können bestehende Machtpositionen schwächen oder stärken. Öffnung, Schließung, Zusammenlegung von Abteilungen verändern das verfügbare ökonomische, kulturelle, soziale und auch symbolische Kapital. Ein bewusster Umgang mit diesen Kapital- und Machtverschiebungen ist entscheidend für den Erfolg von Veränderungsprojekten. Führungskräfte sollten daher nicht nur die technischen, formalstrukturellen und operativen Aspekte des Wandels berücksichtigen, sondern auch die beziehungs- und sozial-kulturellen Dimensionen.

Fazit

Organisationen durchlaufen immer wieder Veränderungen, um zu „überleben“. Das erfordert die Nutzung und Bündelung sozialer Kräfte. Die Metapher der sozialen Felder als Kampffelder hebt die konfliktbeladenen Aspekte von Machtkämpfen und Positions- und Kapital-Konkurrenz in Organisationen hervor. Es ist entscheidend, das eher kooperative Spiel zu fördern, um die Organisation vor destruktiven Machtkämpfen zu bewahren, um das Spielfeld nicht in ein Schlachtfeld zu verwandeln. Dabei gilt es Kämpfe nicht völlig zu unterbinden, sondern die dort zusammentreffenden Kräfte im Dialog auf das gemeinsame Ziel auszurichten.

Literatur

Armbruster, André. 2023. Gesellschaft als Kraft, Spiel und Kampf. In Handbuch Theorien der Soziologie, Hrsg. Heike Delitz, Julian Müller und Robert Seyfert, 1–23. Wiesbaden: Springer Fachmedien.

Bourdieu, Pierre. 2015. Die verborgenen Mechanismen der Macht. Hamburg: VSA: Verlag.

Houben, Daniel. 2022. Die verborgenen Mechanismen der Governance. Zur kulturellen und praktischen Bedingtheit organisationaler (Re-)Produktion. Wiesbaden: Springer VS.

Krämer, Hannes. 2019. Organisationsforschung und Praxistheorie (Pierre Bourdieu und Ethnomethodologie). Hrsg. Maja Apelt et al., 1–19. Wiesbaden: Springer.

Parsons, Talcott. 1951. The Social System. London: Routledge.